Niemand weiß jemals, was dich mit der Vergangenheit verbindet… Die Geschichte einer gefundenen Geldbörse

LEBENSGESCHICHTEN

Kolia stritt sich zum wiederholten Male mit seiner Frau. Svetlana hatte die ganze Nacht nicht auf Anrufe reagiert und war sehr betrunken nach Hause gekommen.

— Wäre es so schwer gewesen, mich frühzeitig zu warnen oder ans Telefon zu gehen? — fragte der Mann.
— Ich bin müde.
— Wovon denn?
— Von allem, Kolia! Wenn du glaubst, ich setze mich den ganzen Tag zu Hause hin, dann irrst du dich gewaltig.
— Warum denn?
— Weil… Vielleicht sollte ich wieder arbeiten gehen? — lachte sie.
— Wäre auch nicht verkehrt, denn ich habe nicht vor, ewig deine Einnahmequelle zu sein.

Svetlana drehte sich um und ging ins Schlafzimmer. Nikolai verstand überhaupt nicht, warum er sich nicht längst scheiden ließ, schließlich verband sie nichts mehr miteinander. Offensichtlich war es ein Fehler gewesen, Sveta zu heiraten — er hatte sich von ihrem äußeren Reiz blenden lassen. Sie ist jung, schön und möchte ausgehen, während er als Fünfzigjähriger nur noch Ruhe und häusliche Geborgenheit sucht.

Seine Laune war so schlecht, dass er keine Lust hatte, zur Arbeit zu gehen. Gott sei Dank war er sein eigener Chef und konnte es sich erlauben. Seine Schritte führten ihn zum Markt — genau dort hatte Nikolai sein Geschäft begonnen. Aus einem kleinen Kiosk war ein florierendes Unternehmen gewachsen, das ihm jetzt ein stattliches Einkommen einbrachte.

Früher kontrollierten er und seine Freunde den ganzen Markt. Sie gingen hart gegen diejenigen vor, die nicht zahlen wollten, schützten aber auch die, die ungerecht behandelt wurden. Als er den Markt betrat, überkam ihn tiefe Nostalgie. Er schlenderte zwischen den Ständen umher, ohne genau zu wissen, wohin er ging. Ungewöhnliche Gefühle drückten ihm das Herz zusammen, besonders als er vor einem alten Verkaufsstand stehen blieb.

Dort verkaufte einst eine unglaublich schöne junge Frau namens Marusja Blumen. Sie war die Einzige auf dem Markt, die nichts bezahlte. Egal, wie sehr man ihr drohte, sie weigerte sich, das hart verdiente Geld abzugeben. Nikolai musste persönlich mit ihr sprechen und alles erklären.

Doch als er dieses hübsche Mädel ansah, dachte Kolia keineswegs ans Geld. Er erstarrte, als ihre Blicke sich trafen.

— Hey, Draufgängerin, hast du den Mund verloren? — sagte Marusja.
— Den Mund hab ich nicht verloren, ich rede, wenn ich’s für nötig halte. Bei mir ist nicht wie bei manchen der Verstand weggeweht, — schnauzte er sie an.
— Was verschlägt dich hierher?

Es gelang ihm nicht, Marusja Geld abzuzocken. Im Gegenteil, er empfand fast Mitleid. Sie lebte mit ihrer Großmutter in einer alten Baracke. Daneben lag ein kleiner Garten, in dem sie ihre Blumen züchtete.

— Und deine Eltern? — fragte Kolia sie schließlich.


— Ich weiß es nicht. Als meine Großmutter noch lebte, erzählte sie, sie hätten mich verlassen.

Zwischen ihnen gab es oft Streit, denn Marusja nahm kein Blatt vor den Mund. Eines Tages platzte Kolia der Kragen:

— Wie lebst du überhaupt noch mit so einer Zunge?
— Niemand war je mutig genug, mich herauszufordern, — erwiderte sie und zeigte ihm die Zunge.

Dann lud sie ihn eines Tages zum Abendessen ein. Nikolai war total baff, sagte aber natürlich zu.

— Iss ruhig, hab keine Angst. Diesmal hab ich kein Gift reingetan, — scherzte Marusja.
— Ich dachte, du könntest gar nicht kochen.
— Dir wird es schmecken, und du wirst jeden Abend hier essen kommen.
— Warum kommst du überhaupt auf den Markt?
— Ich will Geld verdienen und in die Stadt ziehen, dort gibt es mehr Chancen.
— Du weißt doch, wie hart es in der Stadt ist. Millionen Leute sind wie du!
— Aber sie finden alle einen Weg, ich werde es auch schaffen.


Einige Wochen später starb Marusjas Großmutter, was sie völlig zerstörte. Nikolai übernahm die Organisation der Beerdigung und alle Kosten. Am Abend sagte Marusja zu ihm:

— Morgen fahre ich weg.
— Ich will nicht, dass du gehst.
— Kolia, du bist nett und gut, aber ich bin nicht die Richtige für dich. Ich werde nie eine Hausfrau sein. So eine brauchst du nicht.
— Vielleicht ist es nicht deine Entscheidung, was ich brauche? Musst du denn unbedingt in dieser Stadt bleiben? Mit mir würdest du im Paradies leben.
— Kolia, bleibst du heute Nacht bei mir?

Nikolai verschluckte sich fast, er hatte mit so viel Glück nicht gerechnet. Diese Nacht behielt er für den Rest seines Lebens in Erinnerung, und am Morgen fand er einen Zettel. Marusja gestand ihm ihre Liebe und verabschiedete sich — sie hatte sich entschieden zu gehen. Er steckte ihr Foto in die Tasche und ging. Seitdem waren dreißig Jahre vergangen.


— Onkel, hier ist Ihre Geldbörse! — rief plötzlich ein kleines Mädchen.
Er drehte sich um und sah ein Kind in abgetragenen Kleidern. Er bedankte sich und gab ihr Geld.

— Warum ist das Foto meiner Mutter in Ihrer Geldbörse? — fragte das Mädchen.
— Deiner Mutter? — fragte er überrascht.
— Ja, meiner Mutter Nastja. Wir sind aus der Stadt hierhergekommen und dann ist sie krank geworden.

— In welchem Krankenhaus ist sie? Lass uns sie zusammen besuchen!
— Gerne.

Nikolai stellte fest, dass das Mädchen wie eine Kopie von Marusja aussah. Im Krankenhaus protestierte eine Schwester, weil die Besuchszeit vorbei sei, doch einige Geldscheine lösten das Problem.

Als Nikolai das Zimmer betrat, sah er eine junge Frau von etwa zwanzig Jahren, ein Ebenbild von Marusja.

— Kennen Sie Marusja? — fragte er.
— Ja, das ist meine Mutter. Sie müssen mein Vater sein, Kolia, oder? Mama wollte, dass Sie sie finden, aber ihre Gesundheit hat versagt.
— Wir… meine Mutter und ich…
— Ich weiß. Mama musste fort, weil sie sich mit schlechten Leuten eingelassen hat.
— Ich hätte alles regeln können. Schade, dass sie es nicht gesagt hat…
— Mama ist letztes Jahr gestorben, sie kann nichts mehr erklären.

Nikolai bezahlte die Behandlung des Mädchens, denn sie hatte einen schweren Bruch erlitten. Als er mit seiner Enkelin nach Hause kam, machte seine Frau Sveta einen großen Krach. Doch er antwortete ruhig:

— Ich lasse mich scheiden. Früher hatte ich Angst, allein zu sein, jetzt nicht mehr.

Nastja und Valechka zogen zu Nikolai, damit sie keine Wohnung mieten mussten. Dank Marusja hatte er endlich das, wovon er immer geträumt hatte.

— Schade, dass Mama nicht sehen kann, wie glücklich wir sind, — weinte Anastasia.

Kolia ließ einen DNA-Test machen, um auf Nummer sicher zu gehen: Es stellte sich heraus, dass Nastja nicht seine leibliche Tochter war. Der Mann dachte lange nach und zerriss dann das Dokument. Er erkannte, dass es für ihn keine Rolle spielte.

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