Die ganze Nacht über hatte ein heftiger Wolkenbruch mit Donner getobt. Als Sasha nach draußen trat, sah sie einen klaren Himmel, als wäre nichts geschehen. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Hündin Asya während des Gewitters gejault hatte. Also beschloss die junge Halterin zu prüfen, ob Asyas Hundehütte undicht geworden war, denn es hatte heftig geregnet.
Merkwürdigerweise erwartete Asya sie aber nicht wie gewohnt. In der Hütte blieb sie liegen und weigerte sich herauszukommen. Sasha ging zurück ins Haus und schnitt zwei Stücke Wurst ab, um die Hündin damit zu locken. Normalerweise tollte die Hündin am Morgen im Hof herum und wartete auf ihre Besitzerin, doch heute verhielt sie sich seltsam, sodass Sasha dachte, das Tier könnte krank sein.
— Asya, Wurst! rief sie, doch die Hündin lag still da und starrte sie an. Da war Sasha überzeugt, dass sie krank sei, und rief den Tierarzt an.
Dr. Leonid Ivanovich, der zwanzig Minuten später eintraf, konnte Asya ebenfalls nicht aus der Hütte locken. Nie zuvor hatte sich die Hündin so verhalten, denn sonst sprang sie freudig auf seinen Ruf an!
— Was sollen wir tun? murmelte der Tierarzt ratlos. Vielleicht hat sie eine Zecke? Wir müssen versuchen, sie rauszuziehen.
Sasha trat an die Hütte heran und begann vorsichtig, das Tier herauszuziehen. Als Asya merkte, dass sie nicht liegenbleiben konnte, kroch sie widerstrebend selbst hinaus.
— Da bewegt sich etwas! rief der Doktor, als er in die geräumige Hundehütte blickte.
Sasha sah hinein und erstarrte.
— Was ist das? fragte Leonid Ivanovich.
— Das ist kein „was“, sondern ein „wer“! staunte die Frau. — Ich schaffe es nicht, das Kind herauszuholen. Hilfst du mir?
— Moment, ich setze schnell meine Brille auf, antwortete der Tierarzt.
Asya knurrte ihn an. Sasha schloss die Hündin auf der Veranda ein und kam zurück. Als sie den etwa dreijährigen Jungen in den Armen von Leonid Ivanovich sah, war sie baff. Das Kind rieb sich verschlafen die Augen und verstand nicht, was um es herum geschah.
— Wer ist das? rief Sasha. Der Junge trug schmutzige Kleidung und hatte keine Schuhe an. Beim Anblick des Tierarztes begann er zu weinen.
Sasha nahm den Jungen auf den Arm und ging ins Haus, um die Polizei zu rufen — vermutlich suchten seine Eltern ihn schon lange.
— Keine Polizei, ich kenne das Kind, sagte Leonid Ivanovich. Das ist der Sohn der Diebin Oksana. Eine solche Mutter wird ihr Kind kaum suchen; sie ist bestimmt betrunken irgendwo.
— Aber wurde sie nicht ins Gefängnis gesteckt? fragte Sasha.
— Sie wurde gerade erst entlassen. Sie hatte das Kind aus dem Waisenhaus geholt, aber offensichtlich war es ihr egal. Man müsste ihr das Sorgerecht entziehen. Der Junge wird bald fünf, und er kann kaum sprechen.
Sasha kannte Oksana aus der gemeinsamen Schulzeit. Nach der Schule hatte sich Oksana mit einem Kriminellen eingelassen, was zu häufigen Trinkgelagen und Diebstählen führte. Beim ersten Mal erhielt sie eine Bewährungsstrafe, um sich zu bessern, doch sie änderte ihr Verhalten nicht. Beim zweiten Mal konnte sie einer Strafe nicht entgehen: Sie hatte dem Briefträger Geld gestohlen, das für Rentner bestimmt war. Die Polizei fand sie am nächsten Tag auf der Straße.
Im Gefängnis bekam Oksana den kleinen Romka, der in ein Kinderheim kam. Nach ihrer Freilassung holte sie ihn zurück.
— Der Junge bleibt vorerst bei mir. Ich werde ihn waschen, füttern und dann selbst zu Oksana zurückbringen, sagte Sasha bitter. — Wie ist er nur in Asyas Hütte geraten?
— Gestern begann das Gewitter. Er war vielleicht in der Nähe unterwegs, erschrak vor dem Donner und suchte Schutz bei der Hündin. Asyas Mutterinstinkt setzte ein, während Oksana keinen zeigte. Sie hat den Kleinen behütet und ließ uns nicht heran! erklärte Leonid Ivanovich.
Nachdem sie den Jungen gefüttert hatte, wusch Sasha ihn und hüllte ihn in eine warme Decke.
In diesem Moment betrat ihr Ehemann Andrei das Haus.
— Liebling, du kommst gerade recht. Kannst du zum Laden fahren? Romka braucht Schuhe und Kleidung, sagte Sasha, als sie ihn begrüßte.
— Was ist hier ohne mich passiert? fragte er überrascht. — Wem gehört das Kind?
— Ich erkläre es dir später, antwortete Sasha. — Es ist Oksanas Sohn, von dem ich dir erzählt habe.
Andrei stellte keine weiteren Fragen und fuhr in den Laden, da er wusste, wie schmerzhaft das Thema Kinder für seine Frau war. Sasha hatte bereits zweimal schwanger verloren, und kein Arzt konnte erklären, warum sie die Schwangerschaft nicht austrug.
Zurück brachte Andrei einen Beutel mit Kleidung und ein neues Spielzeugauto für Romka, über das sich der Junge sehr freute.
Nachdem sie den Jungen umgezogen hatte, beschloss Sasha, ihn schlafen zu legen.
— Ich will nicht zu meiner Mama! murmelte der Kleine und rieb sich die Augen.
— Schlaf, Kleiner. Niemand wird dich jetzt zu deiner Mama bringen, beruhigte ihn Sasha und deckte ihn zu.
Als er eingeschlafen war, ging Sasha zu ihrem Mann und erzählte ihm, dass Romka nicht zu seiner Mutter zurückkehren wolle.
— Das ist verständlich, wenn Oksana den ganzen Tag trinkt, stimmte Andrei zu. — Was machen wir jetzt?
— Du passt auf ihn auf, ich gehe zu seiner Mutter, um herauszufinden, was passiert ist, bat Sasha.
Bald war sie im halb zerfallenen Haus. Tabaksqualm hing in der Luft und nichts war geordnet. Kaum hatte sie gehustet, ertönte Oksanas Stimme:
— Wer bist du? Hast du was zu saufen?
— Erkennst du mich nicht, Oksana? Ich bin Sasha. Wir waren zusammen in der Schule.
— Ich erkenne dich nicht. Hast du was zu saufen?
— Nein, ich trinke nicht, antwortete Sasha.
— Ich schon! lachte Oksana laut.
— Oksana, wo ist dein Sohn?
— Woher soll ich das wissen? Vielleicht schläft er? Oder er läuft draußen rum, sagte die verantwortungslose Mutter. — Was willst du?
— Romka ist bei mir. Ich habe ihn morgens in Asyas Hütte gefunden. Schämen tust du dich nicht?
— Willst du mich belehren? retorte sie. — Der Kleine kann bei den Tanten bleiben, und wenn er nicht heimkommt, gibt’s eine Tracht Prügel!
— Er kommt nicht zu dir. Was für eine Mutter bist du, wenn du den ganzen Tag trinkst? Ich rufe die Polizei, damit das Kind nicht unter solchen Bedingungen aufwächst! donnerte Sasha.
— Halt! Nicht die Polizei. Versteh, außer Romka habe ich niemanden. Lass ihn zu mir zurückkommen, heulte Oksana.
— Dann wache erst mal auf und räum dein Haus auf. Dann reden wir weiter, sagte Sasha und ging hinaus.
Eine Woche verging, und niemand holte das Kind ab. In dieser Zeit hatte sich Romka an Sasha gewöhnt und nannte sie bereits „Mama“. Besorgt, dass Oksana nicht kam, besuchte Sasha sie erneut. Beim Betreten erstarrte sie: Auf dem Boden lag ein regloser Körper.
Nach dem Notarzt kam die Erkenntnis: Oksana war an den Folgen einer Alkoholvergiftung gestorben.
Nachdem sie Roms Mutter beerdigt hatte, entschied Sasha fest, den Jungen zu adoptieren. Mit Genehmigung des Jugendamts nahm die Familie ihn endgültig bei sich auf. Romka dachte nicht an seine leibliche Mutter zurück, sondern murmelte nur ab und zu: „Ich gehe nie wieder zu ihr.“ Seine neuen Eltern waren endlich glücklich.
Zwei Jahre vergingen. Die Frühlingssonne wurde immer wärmer. Im Hof tollte der inzwischen herangewachsene Romka und spielte mit Asyas Welpen.
— Sohn, pass bloß auf, dass du nicht fällst! rief seine Mutter.
— Kein Problem, blaue Flecken machen einen Mann aus! lachte Andrei und richtete das Mützchen ihrer kleinen Tochter, die auf seinem Arm saß. — Nicht wahr, Dasha?
Das kleine Mädchen lächelte ihrem Vater zu, und die glücklichen Eltern setzten ihren Spaziergang mit ihren reizenden Kindern fort.